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Vom Moorbauern‐Dorf und Gutsbezirk ins Industriezeitalter: Mit der Inbetriebnahme des Torfwerkes Dyckerhoff im Jahr 1912 bekommt Poggenhagen ein neues Gesicht ‐ und auch einen Bahnhof.

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Dr. Eduard Dyckerhoff, ein Industrieller
mit Weitsicht. (© Werksarchiv Dyckerhoff)

Hier, um die ehemalige Schäferei des Gutes Poggenhagen, gleich neben der 1847 eröffneten Bahnstrecke Wunstorf‐Bremen, erwirbt 1907 der industrielle Eduard Dyckerhoff 15 Hektar Land für ein modernes Torfwerk. Der Schafstall den große Fachwerkbau in etwa 300 Meter Entfernung können Sie von hier aus sehen, wird Verwaltungsgebäude – und auch von den Nachfolgebetrieben bis heute so genutzt.

Vor dem schon hält Dyckerhoff Anteile an einer Torfmühle in Wunstorf. Deren Rentabilität lässt jedoch aufgrund der Entfernung zum Moor und mangelndem Bahnanschluss zu wünschen übrig. Der Spross der Dyckerhoff‐Dynastie aus Wiesbaden schließt die Mühle und gründet 30‐jährig im Jahr 1908 zunächst in vorhandenen Gebäuden auf dem Neustädter Hüttengelände seine Torfverwertung „Poggenmoor“. Die brennt 1911 ab. Dyckerhoff gerät in Zugzwang. Doch weil die Baumaßnahme in Poggenhagen weit fortgeschritten ist, schafft er es, ab 1912 hier Torf zu verarbeiten.

Maßgeblich beteiligt an der Ansiedlung in Poggenhagen ist der Neustädter Landrat Wilhelm Dewitz von Woyna. Der Jurist wohnt auf dem Gut in Poggenhagen, ist Treuhänder des damals um die 400 Hektar großen landwirtschaftlichen Betriebs, der seiner Schwiegermutter gehört. Der allseits hoch geschätzte Verwaltungschef macht Dyckerhoff schon 1905 Offerten, nach Poggenhagen zu kommen. Er veräußert ihm das zwischen heutiger „Fliegerstraße“ und der Straße „Am Schiffgraben“ liegende 15 Hektar große Areal für den Industriebetrieb. Dyckerhoff stellt Bedingungen, fordert Gleisanschluss und Bahnstation. Der Gleisanschluss kommt später, der Bahnhof nimmt schon 1908 seinen Betrieb auf, kostet 70.000 Mark, von denen 12.000 Mark die Gutsgemeinde Poggenhagen übernimmt.

Das bis in die USA agierende Unternehmen entwickelt sich im Laufe der Jahre mit teils über 500 festen Mitarbeitern zum größten Industriebetrieb im Landkreis Neustadt – und lässt die Poggenhagener Gemeindekasse klingeln. Nicht nur aus den umliegenden Dörfern und Städten strömen die Mitarbeiter herbei, zum Torfstich im Frühjahr verdingen sich in den 1920er und 1930er‐Jahren Saisonarbeiter aus Holland.

Dyckerhoff entwickelt eine Torfstechmaschine und lässt sie 1919 pateneren. (© Regionsarchiv Hannover)

Mit einer modernen Seilbahn wurde von 1912 bis 1951 Torf aus dem Moor zum Werk transportiert. (© Regionsarchiv Hannover)

Deutsche aus dem ehemaligen Warthegau in Polen sind hier nach dem 1. Weltkrieg im Einsatz. Mangels deutscher Arbeitskräfte fordert Firmenchef Dyckerhoff sowohl im 1. als auch im 2. Weltkrieg Kriegsgefangene an. So genannte Gastarbeiter aus Italien, Spanien, Jugoslowien und der Türkei sind in den 1960er und 1970er Jahren bei Dyckerhoff beschäftigt.
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Der Industriebetrieb Dyckerhoff im 50. Jubiläumsjahr 1958 vor dem sich entwickelnden Poggenhagen. (© Werksarchiv Dyckerhoff)

Genau wie im Werk setzt Dyckerhoff auch im Moor auf modernste Technik – teils selbst entwickelt und patentiert. Zum Transport des Torfes entwickelt der Technikfreak eine Seilbahn. In großen Körben gelangen die braunen Soden über 5
Kilometer von der Ladestation (etwa auf halber Strecke zwischen Neustadt und dem Steinhuder Meer) bis zum Diemplatz.
Die Torf‐Ära Dyckerhoff endet in Poggenhagen 1982. Torf spielt nicht mehr die dominierende Rolle im Betrieb, die Produktion von Styropor steht im Mittelpunkt. Die Moorflächen erwirbt größtenteils die Firma Aurenz. 100 Hektar schenken die Dyckerhoff‐Erben dem Landkreis Hannover für Naturschutzzwecke.

Die nachfolgende Zeittafel gibt einen kleinen Überblick des einstigen Musterbetriebes, der vielen Familien Lohn und Brot gab:

1908kaufte Eduard Dyckerhoff vom preußischen Fiskus 1.200 ha im Totem Moor bei Neustadt mit dem Ziel, Torf abzubauen, das Moor zu kultivieren und einen Gutsbetrieb aufzubauen. Ein Hof entsteht bald am heutigen Fritz‐Blume‐Weg.
1912 Nach dem Brand in Neustadt entsteht das Werk in Poggenhagen an der Bahnstrecke Wunstorf‐Bremen. Die im Moor gewonnenen und getrockneten Soden wurden mittels fünf Kilometer langer Seilbahn und einer Lorenbahn in die Fabrik befördert und dort zu Torfstreu verarbeitet und als Torfballen versandfertig gemacht. Zeitweise wurden große Mengen nach Amerika exportiert.
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1913 Heimatdichter Löns verfasst über Dyckerhoff ein umfangreiches Werk .
1922 gab Dyckerhoff während der Inflation eigenes Notgeld heraus.
1925 wurde die Herstellung von Zement gebundenen Holzwolle‐Leichtbauplatten (im Volksmund Sauerkrautplatten) aufgenommen. Die Fertigung erfolgte auf einer modernen Bandanlage.
1929 wurde die Alfol‐Isolierung entwickelt und die Alfol‐Dyckerhoff GmbH gegründet. Die einzelnen Betriebe entwickelten sich in den 30er Jahren hervorragend. Über ganz Deutschland wurde ein Vertreternetz aufgebaut, das den Absatz sicherte. Eduard Dyckerhoff war ein Unternehmer mit Weitblick und sein soziales Engagement war anerkannt. Die Technische Hochschule Braunschweig verlieh ihm
1926 die Würde eines Dr.‐Ing. h.c. (ehrenhalber). Das Unternehmen in Poggenhagen wurde durch den
2. Weltkrieg in seinen Absatzmärkten arg getroffen.
1948 Gerade als die größten Schwierigkeiten überwunden schienen, starb Eduard Dyckerhoff. In seinem Testament hatte er festgelegt, dass seine Betriebe als Erbengemeinschaft weitergeführt werden sollten.
1953 Die verschiedenen Einzelbetriebe wurden 1953 zur Eduard Dyckerhoff GmbH zusammengefasst. In den Jahren nach 1953 hat der Strukturwandel in der Bauwirtschaft auch vor den Produkten der Eduard Dyckerhoff GmbH nicht Halt gemacht. Mitte der 1950er Jahre wurde von der BASF eine Lizenz für die Verarbeitung von Styropor‐Hartschaum erworben und die Fertigung aufgenommen.
1968 Aufnahme der Produktion von Styropor ‐Formteilen.
1982 der Torfbetrieb wird an die Fa. ASB‐ Erdenwerke Helmut Aurenz in Neustadt übertragen.
1984 und die Jahre danach endet die Geschichte des Industriebetriebes Dyckerhoff in Poggenhagen. Nachfolgebetriebe kommen und gehen.

Einst Schäferei des Rittergutes Poggenhagen. Nunmehr über 100 Jahre Verwaltungsgebäude der Firma Dyckerhoff und der Nachfolgebetriebe. (© Preugschat)